Zurück zur natürlichen Hundeernährung?
Beschäftigt man sich eine Zeitlang mit Hundeernährung, trifft man auf viele unterschiedliche Konzepte. Einige, wie BARF oder die PREY-Model-Methode, orientieren sich dabei stark an der sogenannten Beutetier-Idee, bei der Teile eines Tierkörpers oder ein ganzes Tier roh verfüttert werden. Aber auch die Rezepturen vieler Fertigfutterhersteller basieren bei der Aufteilung des tierischen Anteils ihrer Futterrezepturen auf der Zusammensetzung eines Beutetiers. Das Beutetier dient als DAS Futtertier unserer Hunde, denn schließlich ist seine Ernährung am optimalsten, wenn man sich an der Ernährung des Wolfes orientiert. Und der ernährt sich nun einmal von Beutetieren.
Ist das so? Und wie sieht das typische Beutetier überhaupt aus?
Das Standard-Beutetier
Ein klassisches Beutetier besteht in vielen Konzepten zu 54 % aus Muskulatur und Fett, 6 % Knochen, zu 22 % aus unverdaulichem Fell und Darminhalt sowie zu 18 % aus Innereien und Blut. So in etwa ist nämlich der Körper eines Säugetiers – egal ob Hirsch oder Maus – aufgebaut.
In vielen Ernährungsmodellen wird nun aus oben genanntem Grund versucht, die natürlichen Fressgewohnheiten und entsprechend die Ernährungsbestandteile wildlebender Caniden, also Füchse, Schakale, Kojoten und Wölfe im Futter für unsere Haushunde nachzuahmen.
Am besten schaut man sich also an, was die Vertreter der Canidae (Hundeartigen) so verspeisen! Nun kommen aber wildlebende Hunde in unserer Kultur gar nicht mehr vor und so muss immer wieder der eindrucksvolle Wolf als Vergleichsobjekt herhalten. Doch geht das überhaupt?
Wie sieht das Beutetier wilder Caniden aus?
Schauen wir uns nun den europäischen Wolf und seine Ernährung an. Sein Speiseplan richtet sich nach den in seinem Revier vorkommenden Tieren und besteht zum Großteil aus größeren Säugern wie Hirschen und Rotwild und auch die wehrhaften Wildschweine kann er erlegen. Schafft er es nicht, sich an diesen Ressourcen zu bedienen, jagt er Nager, Kaninchen, Fische und unvorsichtige Vögel und frisst ihre Eier und Jungtiere, wenn er Nester findet.
Bei äthiopischen Wölfen sieht der Ernährungsplan schon etwas anders aus, sie ernähren sich zu über 95 % von Mäusen, Ratten und Graumullen (2) und Küstenwölfen in Kanada fressen fast ausschließlich Fische, Krebstiere, Muscheln und angeschwemmte Tier-Kadaver.
Füchse gehören ebenfalls zu den Caniden und bevorzugen kleine Nager, Reptilien, Vogelbrut und Eier und je nach Revier auch zu einem größeren Anteil Insekten (v. a. proteinreiche Käferarten), Beeren und Obst als Nahrungsquelle. Dingos (3), die in Australien, Ost-Asien und Sulawesi vorkommenden verwilderten Haushunde, erbeuten Kängurus, Rinder, Schafe, Katzen und Kaninchen, Ratten, Wallabys, Reptilien, größere Insekten und fressen Aas.
Allen Caniden gemeinsam ist, dass sie recht flexible in der Auswahl ihrer Beutetiere sind, Teile des Magen- und Darminhalts fressen, auch Aas nicht verschmähen und gelegentlich Obst und Beeren sowie in kleineren Mengen Pilze, Wurzeln und Gräser verspeisen.
Die "Beute" der Straßenhunde
Straßenhunde fressen alles, was leicht zu bekommen ist, und so stehen v. a. die Reste menschlicher Nahrung auf ihrem Speiseplan. Die geschätzt ca. 300 - 400 Millionen Straßenhunde stellen mit 75 % den Großteil der Haushunde dar, die die Welt bevölkern. Je nach Region, in der sie leben, fressen sie Reste von kohlenhydrathaltigen Speisen wie Reis, Nudeln und Getreidebrei, Karkassen und Reste von Fischen und Meeresfrüchten, Obst und Hülsenfrüchte. Altbackenes Brot in den "Getreideländern" und saure Milch bei den "Hirtenvölkern". An Straßen und in großen Städten nutzen diese Hunde den Zivilisationsmüll, die überfahrenen Kadaver anderer Hunde, Katzen und Wildtiere. Auch Kot wird in nicht unerheblichem Maße gefressen.
Straßenhunde oder verwilderte, bzw. verwahrloste Hunde jagen nur äußerst selten. Selbst in ländlichen Gegenden zieht es sie immer in die Nähe der menschlichen Siedlungen, statt in den Wald (4), um dort eigene Beute zu machen.
Hunde, die bei Völkern wie den Inuit leben, deren Hauptnahrung aus tierischen Proteinquellen besteht, fressen dort vorwiegend bzw. ausschließlich Fisch und Fleisch(-reste) sowie Innereien und Fette. In Indien jedoch ist jeder Dritte Mensch Vegetarier oder Veganer, hier wird die Ernährung der rund 40 Millionen Straßenhunde eine andere sein, als in anderen Teilen der Welt.
Der Hund hat sich sehr erfolgreich der menschlichen Ernährungsweise angepasst.
Als Meister der Anpassung haben sich Hunde den Menschen in unterschiedlichen geographischen und kulturell geprägten Gebieten angeschlossen und ernähren sich äußerst flexible und zum aller größten Teil von Nahrungsabfällen oder von der von Menschen zugeteilter Nahrung – und nicht mehr hauptsächlich von wilden, selbst erlegten Beutetieren. Unsere domestizierten Gefährten kennen also gar nicht IHR Beutetier als primäre Nahrungsquelle. Auch wenn sie rein von ihrer physiologischen Ausstattung her, ihrem Gebiss, dem Verdauungstrakt mit seinen spezifischen Enzymen u.s.w. Allesfresser mit einer Präferenz für Fleisch sind, haben Hunde doch seit Jahrtausenden ihre Anpassungsfähigkeit unter Beweis gestellt und sich erfolgreich weltweit behauptet, ohne dass ihre Nahrung immer der eines Wolfes gleicht (und selbst diese ist, wie erwähnt, je nach Revier äußerst unterschiedlich).
Beutetier – alles Quatsch?
Hunde haben sich während ihrer Reise an der Seite des Menschen extrem erfolgreich an ein stark variables Nahrungsangebot angepasst und die allermeisten von ihnen haben sich weit davon entfernt, ihre Nahrung selbst zu erjagen. Trotz alledem macht die Beutetieraufteilung des tierischen Anteils in einer Futterration natürlich Sinn: Ein nach diesem Schema eingeteilte Ration liefert einem Hund ausreichend Eiweiß aus dem Muskelanteil, genug Mineralien aus den Knochen und dem Blut, sehr viele Vitamine und Spurenelemente durch Innereien, Ballaststoffe aus dem Darm und dem Fellanteil.
Somit ist diese prozentuale Aufteilung eine schöne Richtschnur, die eine ausgewogene Zusammenstellung des tierischen Anteils in einer Futterration gewährleistet.
Dennoch gibt es DAS Beutetier unseres Hundes nicht. Es sollte deshalb auch nicht als alleinige Richtlinie herangezogen werden (bspw. bei Futtersorten, deren Fleischanteil extrem hoch ist) und seine Darstellung als "ursprüngliche oder natürlichste Futterquelle" überdacht werden.
Quellen:
(3) https://www.spektrum.de/news/australien-der-mysterioese-dingo/1935532, abgerufen am 15.01.2023
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